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Grenzen überwinden… ein Privileg

Grenzen kennen wir alle. Wir setzen Grundstücksgrenzen, akzeptieren Nationalgrenzen, kommen an unsere eigenen Grenzen. Hier geht es um nationale Grenzen. Wer einmal an einer EU-Außengrenze warten musste, bis der Ausweis geprüft war und man passieren durfte, kennt vermutlich das beklemmende Gefühl, das einen zwangsläufig beschleicht.

Die europäische Grenze nach Afrika und zurück habe ich mehrfach mit dem Auto durchfahren. Meterhohe Mauern mit Stacheldraht und Glassplittern dienen zur Abschreckung. Bewaffnete und unfreundliche Zollbeamten tun ihr Übriges, um Nicht-EU-Bürger*innen von der Einreise abzuhalten.

Grundsätzlich sind Grenzen nichts Schlechtes. Nationale Grenzen sorgen dafür, dass innerhalb dieser Grenzen die Normen und Gesetze eines Landes gelten. Sich zu einer Gesellschaft zugehörig zu fühlen, ist ein ureigenes Bedürfnis des Menschen. Grenzen helfen auch, sich von anderen zu unterscheiden, sei es in individueller, kultureller oder politischer Hinsicht. Grenzen können aber auch abschotten, diskriminieren und unmenschlich sein.

Die Mauern werfen meterlange Schatten, Kameras beobachten jeden Schritt, Spürhunde suchen alles ab. Ich habe Glück. Mein Pass und meine hellen Haare bewahren mich vor menschenunwürdigen Durchsuchungen und grenzüberschreitenden Fragen.

Ich bin privilegiert. Mein Pass sorgt dafür, dass ich einfach so die Grenze überschreiten darf. Neben und hinter meinem Auto warten zahlreiche Menschen zu Fuß darauf, ein Tagesvisum zu bekommen, um ihrer Gelegenheitsarbeit auf EU-Boden nachgehen zu können. Sie haben das Pech, den falschen Pass zu besitzen. Nichts anderes trennt uns. Es ist keine besondere Leistung, einen deutschen Pass zu besitzen. Aber der deutsche Pass gehört zu den „mächtigsten“ Reisepässen der Welt. Mit ihm kann ich in 190 Länder visafrei einreisen. Afghanische Bürger*innen nur in 27 Länder. Ich muss kein monatelanges Prüfungsverfahren für ein Visum durchlaufen, in dem Antragsteller*innen ihr Privatleben offenlegen müssen und teilweise nur durch Bestechung weiterkommen. Ich kann legal einfach so ein- und ausreisen, wie es mir passt und genieße als Deutsche weltweit ein hohes Ansehen. Für andere Staatsbürger ist es lebensgefährlich, eine Grenze zu Fuß zu überschreiten.

Das ist ungerecht und menschenunwürdig. Eine menschliche Lösung für alle ist bisher noch nicht gefunden worden. Empirisch belegt ist aber die Tatsache, dass Einwandernde schon immer Gesellschaften bereichert haben. In sozialer, kultureller und wirtschaftlicher Hinsicht.

Menschen haben sich schon immer bewegt, sind in andere Länder umgezogen. Sie sind keineswegs erst in der Moderne mobil geworden. Heute ist Migration für moderne Gesellschaften nicht mehr wegzudenken.

Die globale Migration, also die Mobilität über Kontinente hinweg, begann bereits mit dem Kolonialismus im 16. Jahrhundert. Der Sklavenhandel war dabei trauriger Höhepunkt der Entwicklung. Bis zu zwölf Millionen Menschen wurden vom 16. Bis zum 19. Jahrhundert aus Westafrika nach Amerika verschleppt.

Migrationsströme hat es auch schon in der Spätantike gegeben. Rom war unter anderem deshalb so mächtig geworden, weil die Römer Fremde und Unterworfene zu integrieren wussten. Spanier oder Syrer konnten als freie Bewohner aller Provinzen das Bürgerrecht erhalten. Rom duldete nicht nur Zuwanderung, sondern förderte sie, ja, erzwang sie sogar. Das stabilisierte das römische Reich für lange Zeit.

In Europa wuchs die Migrationsbewegung besonders im 19. Jahrhundert stark an. Viele wanderten westwärts Richtung Amerika ab. Sie taten das keineswegs aus freiem Willen, sondern sahen sich durch Armut oder politischer Verfolgung dazu gezwungen. Sie migrierten aus purer Not, und nicht alle überlebten die Strapazen der langen Überfahrt.

Zum Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts begann sich das Blatt zu wenden. Nach dem Höhepunkt der Auswanderungsbewegung begann zugleich die Geschichte Europas als Einwanderungskontinent. Viele Menschen kamen aus den ehemaligen Kolonien in Hauptstädte wie London, Paris, Brüssel. Während des Wirtschaftsaufschwungs nach dem zweiten Weltkrieg kamen viele Gastarbeiter nach Deutschland.

Auch die heutigen Bewohner*innen von Deutschland sind das Resultat einer langen Kette von Ein- und Auswanderung. Migration durchzieht die menschliche Entwicklung konstant. Keine moderne Gesellschaft würde ohne Migration existieren. Das bemerken wir unter anderem am Bedarf von Fachkräften. Millionen Menschen aus osteuropäischen Ländern arbeiten bereits seit Langem in der Pflege, in der Landwirtschaft und im Baugewerbe.

In Deutschland hat sich der demografische Wandel inzwischen soweit verschärft, dass Fachkräfte in nahezu allen Branchen fehlen. Um in Deutschland bis 2040 die sinkende Zahl an Erwerbstätigen auszugleichen, müssten jährlich 50.000 Migrant*innen zusätzlich zu arbeiten beginnen. Doch die Hürden zum deutschen Arbeitsmarkt sind weiterhin hoch. Daher wurde dieses Jahr ein vereinfachtes Fachkräfte-Einwanderungsgesetz auf den Weg gebracht. Es soll den Zuzug ausländischer Fachkräfte vereinfachen und somit die hiesige Wirtschaft unterstützen.

Sich abzuschotten bedeutet weniger Vielfalt, weniger Austausch, und ja, auch weniger Fachkräfte. Wir könnten viel voneinander lernen, wenn wir aufeinander zu gingen ohne Ängste. Ohne starre und ungerechte Grenzen, wenn wir uns auf Augenhöhe und mit Respekt begegnen.

Dieser Artikel wurde auch im Regionalmagazin „Gutes Leben – Gutes Land“ veröffentlicht.

Published inAllgemein

Ein Kommentar

  1. Marta Farmbauer Marta Farmbauer

    Oh wow, liebe Nadja!!! Wie wunderbar auf den Kern gebracht und zugänglich doch zeitgleich ausdrucksstark geschrieben. Ein immer brisantes und so wichtiges Thema welches uns alle betrifft und immer wieder Reflexion fordert. Mit einem halben Leben mit rumänischem Pass und der anderen Hälfte mit privilegiertem deutschen und als Reisende kann ich diesen Teil so gut nachvollziehen. Doch viel spannender finde ich noch unsere ganz inneren Grenzen, die zwar nötig zur Identifikation jedoch so oft so beengend und feindlich gesinnt sind, gegen das was sich außerhalb befindet. Dem gewahr zu sein und stetig unsere inneren Zäune ein Stück zu verrücken ist wohl die größte individuelle Herausforderung der wir uns stellen sollten. Vielen Dank für Deinen wundervollen Beitrag!

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