Neben meiner Teilzeitarbeit ziehe ich ein Kind groß, bewirtschafte in Gemeinschaft einen großen Garten und engagiere ich mich in Politik, Umwelt- und Klimaschutz. Das ist eine Menge und bringt mich regelmäßig an meine Grenzen. Dennoch tu ich das gerne – es sind Tätigkeiten, die mich erfüllen. Und ich glaube, dass meine gemeinnützige Arbeit sinnvoll sein kann, auch wenn sie begrenzt ist. Aber mit meinem Engagement setze ich mich automatisch der Unzulänglichkeit aus. Ich fühle mich genötigt, mich mit anderen zu messen, die mehr tun als ich. Ehrenamt ist per definitionem unvergütet, der Leistungszwang ist trotzdem da.
Gleiches gilt für die Care-Arbeit. Es ist selbstverständlich, Sorgearbeit in Form von Kinderbetreuung, Altenpflege oder familiäre Unterstützung zu leisten und sich dafür beruflich und finanziell einzuschränken. Und auch diese Form von Tätigkeit ist dem Leistungszwang unterworfen. Der Mythos der „guten Mutter“ mit angeborener Opferbereitschaft ist immer noch tief in den Köpfen verankert. Wer sich nicht für seine Kinder aufopfert, ist mindestens komisch. Kinderlose Menschen ohne gemeinnütziges Engagement haben es da besonders schwer. Wenn sie nicht wenigstens einen hochdotierten Job haben, fallen sie gesellschaftlich durchs Raster.
Es ist der Leistungsgedanke hinter jedem Tun oder Nicht-Tun, der mich so sehr stört. Im ersten Kennenlern-Small-Talk fällt praktisch immer als erstes die Frage „Was machst du beruflich?“. Wer beruflich oder in anderer Form nichts leistet, ist nichts wert. Dass der Mensch einen Wert an sich darstellt, völlig unabhängig davon, ob er erwerbstätig ist oder nicht, wird nicht gesehen.
Wo ist die so oft beschworene Vielfalt? Zur Vielfalt gehört auch, dass Menschen unterschiedliche Dinge tun, eben auch unterschiedlich viel oder wenig. Das ist nur solidarisch. Während der eine zig Ehrenämter ausfüllt, macht die andere Musik, wieder andere kümmern sich um ihre vielen Kinder und der nächste liegt am allerliebsten auf der Couch und tut nichts. Alle haben ihre Gründe dafür, viel oder wenig zu tun. Und viel schöner wäre es doch, die Gründe dafür herauszufinden und den Menschen dahinter kennenzulernen, anstatt ihn aufgrund seiner Leistungsfähigkeit zu beurteilen. Ich möchte auch nicht danach bewertet werden.
Wir sind erwachsen, fertig mit der Schule und brauchen keine Noten mehr. Lassen wir das Bewertungsdenken hinter uns und schauen den Menschen vor uns genau an. Es lohnt sich. Wirklich immer.
Sei der Erste der einen Kommentar abgibt